Willkommen auf meinem Weblog

Fotografie, Literatur, die deutsche Sprache, die Verbesserung meiner englischen Sprachkenntnisse, Museen und Ausstellungen, Theater, Kochen und Backen sind meine Interessen. Und dazu noch dieses und jenes, je nach Tagesaktualitäten und persönlichen Erlebnissen. Hinzu kommen der Spaß am Verfassen von Texten und die alltäglich gewordene Nutzung der Informationswelt des Internet.

Mittwoch, 28. Februar 2007

Abgründe

Ich stand am Abgrund. Eine unüberwindbare Schlucht zwang mich zu einer Vollbremsung. Das neue Buch hatte mich so begeistert, dass ich förmlich durch die Seiten galoppiert war. Bis zu der Zwangspause, die mich am Weiterlesen hinderte. Kein tiefes Loch, sondern 32 fehlende Seiten. Mitten im Text, im Satz, im Wort ging es nicht mehr weiter. Und da stand ich nun, wie Winnetou auf seinem Rappen am Rande des Canyons, und konnte nicht weiter.

Die Quittung rettete ich noch aus dem Altpapier, und dann ab in die Buchhandlung, ausgestattet mit Bon und Buch nebst Lücke.

Hinter dem Ladentisch hoffte die Kassiererin, dass niemand kam. Pech gehabt. Da war ich.

Sie verzog keine Miene, als ich sie ansprach, bewegte sich nicht, sagte nichts, stellte sich einfach tot. Das habe ich natürlich durchschaut und legte ihr den Kassenzettel hin, das Buch daneben, an der passenden Stelle aufgeschlagen. Ich schilderte ihr das Problem und entschuldigte mich dafür, dass ich Bücher nicht nur kaufe, sondern sogar lese.
Danach schwieg ich.
Sie auch.
Sie stellte sich immer noch tot.
"Ich habe schließlich den vollen Preis bezahlt. Dafür hätte ich gern ein ganzes Huhn," sagte ich, "und kein gerupftes." Dabei sah ich sie weiter an und musste grinsen, wegen des Vergleichs mit dem Huhn.
Dann verriet sie sich, bewegte sich, langsam nur, aber immerhin. Also doch nicht tot, sondern bloß Baldrian in Überdosis. Und dann delegierte sie die Angelegenheit, indem sie ihre Hand mit dem Buch in die Höhe streckte (Gymnastik am Arbeitsplatz) und einer Kollegin zurief:
"Ham wir das Buch nochma?"

Die Kollegin lehnte beidhändig abgestützt auf einem Bücherstapel, wobei ich mich nicht festlegen möchte, ob sie den Stapel vorm Umfallen bewahren wollte, oder eher umgekehrt. Eins von beidem auf alle Fälle, deswegen konnte sie nicht loslassen.
"Weiß nich, musstma gucken."
Die tun was für das Gesundheitssystem. Da ist niemand infarktgefährdet.

Abgrundtief taten sich die Seelen zweier Buchhändlerinnen vor mir auf. Das war mir zuviel, und ich marschierte selbst zum Regal. Was blieb mir übrig? Sollte ich warten, bis der Baldrian zu wirken aufhörte? Ein ganzes Dutzend Exemplare erwartete mich, aufgereiht wie die Soldaten. Einen davon rekrutierte ich mir und ging mit ihm in Richtung Ausgang. Ich wollte nicht länger stören, und die Sache war schließlich auch geregelt.

Plötzlich grölte sie hinter mir her: "HALT! Kommen Sie zu mir!" Wie auf dem Exerzierplatz. Ich gehorchte. Befehl ist Befehl. Während ich zur Kasse ging, starrte mich die versammelte Kundschaft an, als ob ich gerade mit den Tageseinnahmen durchbrennen wollte.
Was sie wollte, hat sie mir dann doch nicht verraten. Als ich bei ihr eintraf, war sie schon wieder in Lethargie verfallen und stammelte nur noch: "Ich muss ..., Sie müssen ..., ..."

Ich hab sie dann einfach irgendwann stehen lassen, weil ich keine Zeit mehr hatte. Ich musste noch zur Apotheke, Beruhigungsmittel kaufen. Bevor ich wieder in eine Buchhandlung gehe, pfeife ich mir auch was rein.

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